
Der Mech führte ihn zu einem Lift, mit dem sie in den 127. Stock fuhren. Dort ging es in einen Konferenzraum. Jemand anderes war schon anwesend. Ein anämischer Teenager mit rotgeränderten Augen und wirrem schwarzem Haar. Er saß auf einem Restriktor.
Der Skelettmech scheuchte Lowe auf den nächsten. Kaum saß Lowe auf der Sitzfläche, schossen von Naniten gesteuerte Molybdänbänder aus dem Gestell und fesselten ihn an den Restriktor. Der Mech verließ den Raum.
Lowe und der Teenager waren allein. „Na, auch hier?“, sagte Lowe.
Der Teenager runzelte die Stirn. „Was soll denn das heißen? Sehe ich aus, als hätte ich mich freiwillig gemeldet?“
„Nein, Du siehst aus, als hätte die Sicherheit Dich mitsamt Pornomagazinen unter Deiner Schmusedecke hervorgezogen.“
„Ich habe keine Schmusedecke“, protestierte der Teenager.
Lowe grinste. Der Teenager wurde rot.
„Ich bin Denver Lowe“, sagte Lowe.
„Justin Case.“
Eine Tür öffnete sich. Ein Skelettmech rollte einen weiteren Restriktor in den Raum. Auf dem Stuhl saß schon jemand. Eine junge, mandeläugige Frau mit kurzen blonden Haaren. Eine Narbe verlief diagonal über ihr Gesicht. Sie schien Lowe und Justin nicht zu sehen.
Ehe Lowe etwas sagen konnte, öffnete sich eine weitere Tür. Eine regelrechte Prozession kam herein. Zwei Koalitionsoffiziere, der größere von beiden ein grauhaariger, breitschultriger General. Der andere war jünger und auf seiner Stirn prangte das charakteristische Implantat eines Netborgs. Offenbar ein Adjutant.
Dahinter folgten vier Skelettmechs, die eine aufrechte Bahre führten. Lowe riss die Augen auf. Er kannte diese Art von Bahre. Sie war mit Inhibitoren ausgestattet.
Auf ihr festgeschnallt war ein Mann in schätzungsweise Lowes Alter. Er hatte ein Gesicht wie ein gelangweilter Hamster. Das war es aber auch schon. Vom Hals abwärts bestand sein ganzer Körper aus schwarzem Metall.
Ein Voll-Cyborg, dachte Lowe. Was für eine kranke Menagerie ist das hier?
„Sind wir vollzählig?“, fragte der General. Sein Adjutant nickte.
Der General machte eine Handbewegung und die Skelettmechs nahmen Aufstellung. Ihre Positionen erinnerten Lowe unangenehm an ein Erschießungskommando.
„Allgemeine Vorstellungsrunde, Junge“, sagte der General.
Der Adjutant deutete auf Lowe. „Kapitän Denver Lowe. Schmuggler. Zur Konditionierung verurteilt.“
Sein Finger wanderte zu Justin. „Justin Case. Hacker. Zur Konditionierung verurteilt.“
Die Blondine. „Kotone Ryuzoji. Auftragskillerin. Zur Kryostasis verurteilt.“
Und der Cyborg. „Steve X. Söldner, Massenmörder und allgemeine Plage. Zur Wiederaufbereitung verurteilt.“
Der General nickte. „Hochgeschätztes Publikum, Sie stehen vor einer Wahl. Es gibt zwei Türen. Entscheiden Sie sich für diese“, er deutete auf die Tür, durch die Lowe hereingekommen war, „dann werden Ihre Urteile vollstreckt, dieses Gespräch hat nie stattgefunden, und wir haben hier nur Zeit verschwendet.“
Er deutete auf eine andere Tür. „Hinter dieser Tür wird Ihnen eine Sprengkapsel implantiert, die mit einem zweiwöchigen Countdown versehen ist. Danach werden Sie auf ein Raumschiff befördert, mit dem Sie in das Territorium der Reinigenden Flamme fliegen, um Informationen über dieses Regime zu sammeln. Fragen soweit?“
Lowe wechselte einen Blick mit Justin. Der Teenager machte ein Gesicht, als wäre er in eine Orgie zwischen seinen Eltern und den Nachbarn reingeplatzt. Kotone nahm die Sache augenscheinlich gelassener auf, doch ihre Körpersprache verriet Anspannung. Cyborg Steve schien milde amüsiert zu sein.
„Was zum Demiurgen ist das für eine Wahl?“, sagte Lowe.
„Eine Wahl, bei der Sie keine dritte Möglichkeit haben“, sagte der General kaltlächelnd.
Da bin ich volle Ladung reingelaufen, dachte Lowe. „Mal angenommen, wir entscheiden uns für die zweite Tür. Was hält uns davon ab, die Sprengladungen einfach im nächsten Chop-Shop rausschneiden zu lassen?“
„Das sind MILLSPEC Kapseln mit einem DNA-Muster“, sagte der General. „Meiner DNA. Es gibt keine schwarze Klinik, die Ihnen die Ladungen entfernen könnte, ohne sich gleich mit in die Luft zu sprengen.“
Wäre auch zu schön gewesen, dachte Lowe.
Kotone schnaubte. „Amateur. Du stellst die falschen Fragen.“
„Ach, kannst du auch reden? Bitte, tu Dir keinen Zwang an“, sagte Lowe.
Die Mandelaugen der Blondine verengten sich kurz. „Was springt für uns raus, wenn wir die Informationen beschaffen? Bis jetzt kann ich da keinen Vorteil erkennen.“
„Ich schließe mich meiner Vorrednerin an“, sagte Cyborg Steve mit angenehm sanft moduliertem Bass.
„Das überlasse ich Ihnen, Junge“, sagte der General.
Der Adjutant trat einen Schritt nach vorne. „Falls ihre Mission erfolgreich verläuft, werden Ihnen diese Vergeltungen zugänglich gemacht. Erstens, vollständige Straffreiheit, unter der Voraussetzung, dass Sie sich von den Zentralwelten fernhalten. Die Randwelten stehen Ihnen dagegen frei. Zweitens, jeder von Ihnen bekommt eine Million Credits auf ein unmarkiertes Konto.“
Lowe riss die Augen auf. Sein Herz flatterte in seiner Brust, wie damals, als er sich auf seiner ersten Fahrt den schlecht geschnittenen Roten Staub reingezogen hatte. Eine Million. Das ist ja mehr, als ich in sieben Jahren beim Schmuggeln verdient habe.
Er betrachtete die anderen. Kotone hatte den Kopf schief gelegt und schien im Kopf Berechnungen anzustellen. Der Cyborg hatte ein zufriedenes Grinsen im Gesicht und nickte, als wollte er etwas bestätigen.
Nur Justin hing niedergeschlagen in den Molybdänbändern.
„Alternativ wäre auch eine Position in den Streitkräften möglich“, sagte der Adjutant. „Die Koalition lässt kein Potential ungenutzt.“
Justins Gesicht hellte sich sofort auf.
Interessant, dachte Lowe. „Ich kann nur für mich selber sprechen, aber ich bin dabei.“
„Ich auch“, sagte Justin eifrig.
„Ich bin einverstanden“, sagte Kotone.
Der Cyborg nickte immer noch vor sich hin. Als er merkte, dass alle Aufmerksamkeit ihm galt, riss er sich zusammen. „Was? Oh, ja, bin dabei.“
„Ausgezeichnet“, sagte der General und rieb sich die Hände. „Mein Adjutant wird Ihnen ein Dossier mit allen Daten aushändigen. Haben Sie sonst noch Fragen?“
„Ich hätte eine“, sagte Justin. „Wer um alles in der Welt sind Sie eigentlich?“
„Hah! Wo sind nur meine Manieren geblieben. Mein Name ist Alexander Degenhardt. General Degenhardt für Sie. Das ist mein Adjutant, Major Will Benson.“
Der Adjutant salutierte.
„Jetzt aber los. Abmarsch!“
Wundervoll, dachte Lowe, während die Skelettmechs die Restriktoren und den Cyborg aus dem Konferenzraum schoben. Keine Konditionierung, dafür ein Himmelfahrtskommando, bei dem ich auch draufgehen könnte. Aber wie sagte mein Skipper immer? 'Es könnte schlimmer sein'.
Er grinste sardonisch. Meistens wurde es dann auch schlimmer.
Ende Kapitel Eins